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Tom Dugan und Van Homan in Hamburg

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Engelschöre und unmögliche Airs: Fit Bike Co. in Deutschland

Stew Johnson, der unermüdlichste Filmer aller Zeiten, arbeitete im vergangenen Sommer nicht nur an der Dans-Comp-DVD, sondern auch am Nachfolger von Stay Fitt. Weil er wegen den X-Games in München war und auch noch die BMX Worlds besuchen wollte, hielt er es für eine gute Idee, Tom Dugan in der Zwischenzeit nach Deutschland einfliegen zu lassen und ein paar Banger zu filmen. Ich hielt das für eine ganz hervorragende Idee, schließlich wurden Markus Wilke und meine Wenigkeit eingeladen, den Trip fürs Heft zu dokumentieren und außerdem Spotguides, Dolmetscher und Chauffeure zu spielen. Zu einem späteren Zeitpunkt fiel der Buchhaltung bei Fit dann auf, dass es ziemlich sinnlos sei, nur einen Fahrer mit einem Filmer zwei Wochen lang durch Deutschland fahren zu lassen und so wurde noch ein Flugticket für Van Homan gebucht. Als diese Neuigkeit bekannt wurde, lief im Büro erst mal Diary of a Madman auf Endlosrepeat, bevor wir eine Route ausarbeiteten, die gleichermaßen riesige Geländer als auch die erlesensten Rundungen Deutschlands enthielt.

Weil ich ein erfahrener Journalist bin und mich selbst Leute wie Van Homan nicht mehr überraschen können, war die Story quasi schon fertig, bevor wir überhaupt einen Kilometer Richtung Hamburg, der Homebase für den gesamten Trip, gefahren waren. Passend zu der Jubiläumsausgabe sollte es eine Story über das Älterwerden als BMX-Profi werden. Van Homan würde die Rolle des etablierten Profis einnehmen, der alles schon gesehen hat und langsam auf seinen Ruhestand zugeht, während Tom Dugan als Kontrastfolie den rebellischen Jungprofi geben sollte. Es versteht sich von selbst, dass dieser Plan bereits am ersten Tag des Trips von der Realität zerstört wurde. Aber bis der erste richtige Tag, an dem alle vollständig versammelt waren und auch ihre komplette Ausrüstung hatten, überhaupt anbrach, sollte noch einige Zeit vergehen.

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Besser mal den Helm aufsetzen: Van Homan, Jumpovergrind an einem Rail ohne Spielraum für Fehler

Van hatte schon in den USA seinen ersten Anschlussflug verpasst und kam einen Tag später. Außerdem war die Hälfte seines Gepäcks war verschollen. Vor allem seine Schoner waren nicht da, was für ihn bestenfalls Manuals am Bordstein bedeutete, denn ohne Schoner macht Van Homan gar nichts mehr. Das Gepäck wurde dann zum Glück einen Tag später bei Nachbarn von Pierre Hinze, bei dem wir alle untergekommen waren, abgeladen.

Da hatten wir schon zwei komplette Jetlagtage hinter uns, auf denen die frisch angekommenen Amerikaner nur träge durch die Gegend schlafwandelten. Man kann auch nicht erwarten, dass jemand nach einer Transatlantikreise aus dem Flieger springt und direkt tierisch Lust auf Radfahren hat. So betrieben wir an diesen Tagen ausschließlich Spottourismus, ohne dass ein einziger Videoclip gedreht und ein einziges Foto geschossen wurde.

Auf diesen Touren quer durch Hamburg wurde schon das erste Mal deutlich, wie sehr ich mich getäuscht hatte. Van war aufgedreht, bester Laune und extrem neugierig. Außerdem sprach er (sehr gebrochen) Deutsch. Tom war eher zurückgezogen (jedenfalls, solange keine Kamera auf ihn gerichtet war) und hatte auch nicht so richtig Lust auf Radfahren. Das hing natürlich auch mit seinem kaputten Knie zusammen. Wer denkt, das Leben als BMX-Profi sei besonders entspannt, der macht sich Illusionen darüber, was man damit seinem Körper zumutet. Sowohl Tom als auch Van nahmen jeden Tag Schmerzmittel, um überhaupt aufs Rad steigen zu können. Van hatten sogar auf jeder Tour drei verschiedene Pillendöschen dabei, um im Bedarfsfall nachlegen zu können. Sein Rucksack war sowieso bestens ausgestattet. Während Tom nicht einmal sein Telefon mit zum Radfahren nahm, weil es ihn zu sehr ablenken würde, trug Van einen Radladen, eine Werkzeugkiste und eine Apotheke mit sich herum.

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Tom Dugan, Michel-Ledge 360, Hamburg

Fahrer dieser Größenordnung hinterlassen in den Medien ein ganz anderes Bild, als sie dann tatsächlich in echt sind. Wenn man zig-mal Van Homans Section in „Criminal Mischief“ gesehen hat, dann geht man einfach davon aus, dass er ein Wahnsinniger ohne Angst ist, der ohne mit der Wimper zu zucken auf jedes Rail am Wegsrand springt. Aber damit könnte man kaum falscher liegen. Van ist der erste, der zugibt, dass er inzwischen ein anderer Mensch ist als vor dreizehn Jahren: „Der Van von heute würde sicher nicht mehr Jumpovergrinds im Schnee machen.“ Seine Herangehensweise ans Radfahren ist tatsächlich sehr systematisch. Bevor er harte Tricks machte, wärmte er sich am gleichen Spot mit anderen Tricks auf. Wenn das nicht vor Ort ging, fuhr er um den Block und testete woanders, ob seine Feeblegrindskills an dem Tag für 18-Stufen-Rails reichten (nein) oder sein Bunnyhop für Railhop to Manualbonks (ja). Außerdem machte er während der ersten zwei Tage von jedem noch so kleinen Spot Fotos und brütete abends darüber, was dort alles möglich sei und ob man dort einen guten Clip filmen könnte. Das bedeutet nicht, dass er danach aufhörte, Fotos zu machen. Er ist geradezu besessen von Instagram und wir mussten mehr als einmal auf ihn warten, weil er noch irgendwas ablichten und filtern musste.

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Whips über Rails for breakfast? Kein Problem für Van Homan

Bei Tom war der Unterschied zwischen dem medial vermittelten Bild und der tatsächlichen Person noch etwas größer. Ich erwartete einen aufgedrehten Typen, der permanent auf Sendung ist, literweise Dr. Pepper trinkt und alle halbe Stunde seine Hosen fallen lässt. Stattdessen kam ein sehr ruhiger junger Mann nach Deutschland, der stilles Wasser trank und seine Hosen die ganze Zeit anbehielt. Beim Radfahren ließ sich Tom ein bisschen von Van mitziehen. Ihm war es ziemlich egal, wo wir hinfuhren und je nach Spot hing er dann halt herum oder sprang sehr hoch und weit, was von Van manchmal etwas wehmütig betrachtet wurde: „Wir können halt nicht alle 24 sein und an jeder Rundung drei Meter hoch springen.“ In gewisser Hinsicht waren sich die beiden dann aber doch sehr ähnlich: Sobald es etwas gefährlicher wurde, wogen beide eingehend ab, ob es sich lohnen würde, den Trick zu machen. Schließlich hätte man sich schon mit einem dummen Sturz für den Rest des Trips ins Aus schießen können. Ein paar Mal gingen bei Tom allerdings die Pferde durch und er probierte aus dem Nichts heraus Stunts. Wenn etwas dann nicht so gut ausging, wälzte er sich ganz gerne schreiend auf dem Boden. Beim ersten Mal dachte ich noch, er hätte sich das Bein gebrochen. Nach dem Schockmoment klärte er mich auf: „Ich brauche ein bisschen Schreien und Show. Nach fünf Minuten geht es mir meistens wieder gut.“

Es wurde ziemlich klar, dass in den USA bei gesponserten Fahrern eine andere Mentalität herrscht. Radfahren wird dort eher als Arbeit gesehen und dementsprechend sehr viel ernster genommen. Im Umkehrschluss bedeutete das aber zum Glück nicht, dass wir auf einem reinen Arbeitstrip unterwegs waren. Weder Van noch Tom wollten ausschweifend feiern gehen, weil sie nicht verkatert sein wollten. Selbstverständlich waren wir aber trotzdem auf der Reeperbahn, die leider nicht so einen krassen Schockeffekt entwickelte wie auf amerikanische Besucher, die zum ersten Mal mit offener Prostitution konfrontiert werden. James Foster beispielsweise konnte auf der KHE-Tour 2010 damit überhaupt nicht umgehen und musste fliehen. Tom und Van schlenderten ganz entspannt durch die Gegend, erzählten nicht jugendfreie Geschichten aus Amsterdam und forderten lautstark den Besuch einer Karaokebar ein. Van sang sowieso den ganzen Tag vor sich hin, also musste er wohl oder übel ran. Großes Drängen war nicht erforderlich, nach einiger Zeit entschied er sich für Piano Man von Billy Joel.

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Kein Hamburgbesuch ohne Abstecher auf die Reeperbahn

In der Wartezeit wurden wir von zwei jungen Damen angequatscht, die ziemlich interessiert klangen, als wir ihnen erzählten, dass sie mit amerikanischen BMX-Profis an einem Tisch säßen. Ihr Interesse verschwand jedoch in kürzester Zeit, als wir ihnen mitteilen mussten, dass es verschiedene Arten von Profis gibt und nicht alle davon bei den X Games in München mitgefahren sind. Bevor ich ihnen von Criminal Mischief und Props-Bios erzählen konnte, waren sie schon auf der Suche nach interessanteren Zielen. Als Van schließlich singen musste, kannte niemand den Song, was für große Verwirrung sorgte: „Piano Man ist in den USA der Karaoke-Ender, bei dem alle auf die Bühne stürmen, sich in den Armen liegen und zusammen die letzte Strophe singen.“ Hier passierte das nicht, aber Van zog sich trotz leichter Trunkenheit achtsam aus der Affäre. Das Staunen ging weiter, als wir nach Hause fahren wollten: „Man kann mit einem Bier auf der Straße rumlaufen, aber nicht mit einem Cheeseburger ins Taxi steigen?“ Womit wieder einmal Vincent Vega bestätigt wäre: „Das abgefahrenste an Europa sind die kleinen Unterschiede.“

Für die kleinen Unterschiede waren die Herren aber nicht über den Atlantik geflogen, sondern für die Spots. Mit Parks musste man ihnen nicht kommen, indoor sowieso nicht. Sie wollten vor allem ungewöhnliche Transitions für Tom und sowieso die besten Streetspots. Der Florabowl rief großes Entzücken bei beiden hervor, der IGS-Park in Wilhelmsburg eher nicht. Wenn man mindestens 35-jähriger Skater ist und riesige Knieschoner in Kombination mit bis zu den Knien hochgezogenen Socken akzeptabel findet, dann wird man da seinen Spaß haben. Ansonsten sind der unglaubliche Eintritt (9 Euro für die Abendsession ab 18 Uhr) und die durch den Park patroullierenden Sicherheitsbediensteten ein viel zu hoher Preis. Ziemlich gut kamen auch sämtliche Transitions an, die nicht zum Radfahren gebaut wurden. Als wir in dem verschlafenen Ostseenest ankamen, dessen Strand von perfekten Rundungen gesäumt wird, wollte Tom nur dann Rad fahren, wenn ihm jemand sein Rad zusammenbaute. Er fühlte sich nicht wohl, weil ihm die eineinhalbstündige die Reise im vollgestopften Auto nicht erholsam genug gewesen war. Kaum standen wir am Spot, sah das alles plötzlich ganz anders aus und er flog so hoch durch die Luft, dass Van nach drei Versuchen aufgab und lieber zuschaute.

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Tom Dugan, Toboggan Boost, IGS-Skatepark in Hamburg-Wilhelmsburg

Die Düsseldorfer Uni, der letzte Spot auf unserer Liste, rief bestenfalls gemischte Gefühle hervor. Das mag daran gelegen haben, dass dort inzwischen fast alles sehr gründlich mit Stoppern versehen wurde und außerdem noch weite Teile des Geländes durch eine Baustelle blockiert waren. Vielleicht lag es auch an der fehlenden Überraschung, schließlich kannte Van den Spot den Spot schon zur Genüge vom Euro Fools Trip. Tom war auch nur mäßig begeistert, weil er auch dort nicht von einem Dach springen konnte und die guten Transitions alle unfahrbar waren.

Als ich versuchte, ihn zu einem Tabletop an der letzten fahrbaren Transition zu überreden, erntete ich eher unwillige Ausreden, die darauf hinausliefen, dass er viel zu schnell anfahren müsste und an der Quarter sowieso nicht so hoch springen könne. In solchen Fällen zucke ich normalerweise mit den Schultern und vergesse das Ganze, weil ich niemanden zu Tricks überreden will. Das soll ja alles Spaß machen und ich habe keine Lust, einen Fahrer auf dem Gewissen zu haben, der bestenfalls halbmotiviert einen Trick nur für die Kamera macht und dann stürzt. Van übernahm allerdings an diesem Punkt mit der Erfahrung desjenigen, der schon zig-mal von Fotografen überredet wurde, irgendwelche Tricks zu machen. Er erklärte, dass der Anlauf gar nicht weit und die Quarter an sich perfekt für Airs sei. Er wusste genau, wieso das ein gutes Foto werden würde (Sonne, berühmter Spot etc.) und schloss seinen Pep Talk mit der Andeutung, das Bild könnte wahrscheinlich auch auf dem Cover landen. Wie die Geschichte ausging, sieht man auf Seite 1 von Ausgabe 114. Van Homan saved me.

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Das Coverfoto von Ausgabe 114 in Reinform

Text und Fotos: der unvergleichliche xmx

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