Oh ja, der neue Federal-Edit von Bruno Hoffmann ist online! Hammer, Hammer, Hammer! Und als Bonus haben wir noch ein Interview über die schwierigen Dreharbeiten in Israel für euch.
BMX unter Bomben – Ein Gespräch mit Bruno Hoffmann am 29.11.2012
Als du gefragt wurdest, ob du mit dem englischen Filmer Richard Forne, dem Albion-Fotografen George Marshall und Dan Lacey nach Israel fliegen möchtest, spitze sich dort gerade die politische Situation zu. Du hast trotzdem sofort zugesagt, richtig?
Ja, das stimmt. Bis vor kurzem war die Situation zwar fragil, jedoch nur in den Grenzgebieten zu den umliegenden Staaten und Gaza. Für uns war klar, dass wir uns nur in Tel Aviv und Haifa aufhalten würden, deshalb hatten wir keine Bedenken.
Am 15.11.2012 bist du geflogen und eine Stunde nachdem du in Tel Aviv angekommen bist, wurde nach über 20 Jahren zum ersten Mal wieder eine Rakete aus Gaza auf Tel Aviv abgeschossen. Ihr musstet sofort in den Luftschutzbunker. In Frankfurt gestartet und im Krieg gelandet, was ging da in dir vor?
Es ging extrem schnell und in dem Moment war es wohl für alle überraschend. Natürlich war das grelle Geräusch der Sirenen beim ersten Mal Angst einflößend und surreal – vor allem, weil auch unsere Gastgeberin, die Freundin des Filmers, relativ hektisch reagiert hat. Nachher wurde der Ablauf dann fast schon zur Routine. Jedes Haus hat einen Schutzraum. Wenn man dort angekommen war, vergingen 30 Sekunden bis eine Minute und dann hörten wir einen lauten Knall. Da wir immer innerhalb kürzester Zeit einen Schutzraum fanden, hatten wir eigentlich keine wirkliche Angst, vor allem, wenn man die Abwehrraketen der israelischen Armee bedenkt, die so gut wie alle Raketen der Hamas abwehrten. Im Fernsehen und im Internet wurde von Krieg gesprochen, doch ich empfand das nicht so. Auf den Straßen ging das normale Leben weiter und die Bars und Cafés waren mit Menschen prall gefüllt. Sicher war die Stimmung insgesamt anders als normalweise in Tel Aviv. Aber es herrschte bei allen, mit denen wir zu tun hatten, eine gewisse Trotzhaltung, sich nicht von dem Hamas-Terror – so kann man es ja wohl nennen –, einschüchtern zu lassen.
Natürlich war das grelle Geräusch der Sirenen beim ersten Mal Angst einflößend und surreal.
Deinen Eltern hast du eine Mail geschickt, in der stand: „Tag 2 überlebt“. Auf Facebook, Twitter und per Telefon wurdet ihr aufgefordert, sofort zurück zu kommen. Für euch war das aber kein Thema, oder?
Die Mail war eine leicht ironische Nachricht. Wir haben regelmäßig telefoniert und ich war mit meinem Vater einer Meinung, dass es gefährlicher ist, nachts um 4 Uhr auf dem S-Bahnhof Berlin-Lichtenberg auf Nazis treffen, als in einem Bunker in Tel Aviv zu sitzen.
Natürliche war die erste Reaktion von The Albion und Federal, die den Trip ja finanziert hatten, dass sie wissen wollten, wie es uns geht und ob wir zurück kommen wollen. Für uns kam das aber, nachdem der erste Schock überwunden war, getreu dem Motto „Jetzt sind wir schon hier“, nicht in Frage. Zudem waren wir meist mit Einheimischen unterwegs und kamen uns nicht wie orientierungslose Touris vor. Es wurde uns gezeigt, wie wir uns im Extremfall – wenn z.B. die Sirenen los gingen – zu verhalten hatten. Eine Grundregel ist z. B., eine Wand zu suchen, die nicht in Richtung Meer ausgerichtet ist, oder öffentliche Verkehrsmittel und Soldatengruppen zu meiden.
Ich war mit meinem Vater einer Meinung, dass es gefährlicher ist, nachts um 4 Uhr auf dem S-Bahnhof Berlin-Lichtenberg auf Nazis treffen, als in einem Bunker in Tel Aviv zu sitzen.
Gerade in den ersten Tagen gingen regelmäßig die Sirenen, aber ihr seid Street gefahren, habt gefilmt und Fotos gemacht. Das klingt leicht lebensmüde.
Da wir immer mit Ortsansässigen und Locals in der Stadt unterwegs waren, empfanden wir eine gewisse Sicherheit. Und dann bekommt man fast schon Routine. Die Situation ist gegenwärtig, aber man will eben Street fahren, filmen und Fotos machen. Unser Aufenthalt war ja auch auf acht Tage begrenzt und der beste Tag, um Street zu fahren, war der Sabbat. Das war ein Tipp von den Locals, denn da ist auf den Straßen einfach weniger los und man kann ungehindert von Securitys oder Passanten gute Spots fahren. Beim Fahren habe ich die Situation vollkommen ausgeblendet, man vergass die Gefahr einfach.
Als jedoch das erste Mal Luftalarm ausgelöst wurde, während wir in der Stadt unterwegs waren, wurde mir schon mulmig und ich führte mir vor Augen, in welch schlechtes Timing der Weltgeschichte ich vielleicht hineingeraten war. Du machst gerade einen Trick an einer Treppe, der Alarm geht los, du suchst Schutz und nach einer halben Minute hörst du einen Knall und siehst einen Blitz. Die israelische Luftabwehr hatte mit ihrem Iron Dome eine Rakete runtergeholt. Das ist natürlich schon extrem.
Wer hat euch denn die Spots gezeigt, die man unter diesen Bedingungen überhaupt fahren konnte?
BMXer aus dortigen Szene und der Filmer, Richard Forne, der seit drei Jahren in Israel lebt. Mittlerweile ist Tel Aviv ja auch international für seine guten Spots bekannt. Die Stadt ist architektonisch extrem interessant und bietet viele Möglichkeiten Rad zu fahren.
Im Grunde konnte man alle Spots fahren, da sich die meisten sowieso in öffentlichen Parks oder auf Schulhöfen befanden. Nachdem am vorletzten Tag die Granate in einen Bus geworfen wurde, haben wir allerdings die touristische Innenstadt gemieden und hielten uns dementsprechend in anderen Vierteln auf. So wie die besten Berliner Spots in Marzahn und Hellersdorf liegen, sind auch in Tel Aviv die Vorstädte interessanter. Wie gesagt, das hat was mit der Architektur zu tun.
Nachdem am vorletzten Tag die Granate in einen Bus geworfen wurde, haben wir allerdings die touristische Innenstadt gemieden.
Sag mal etwas zur BMX-Szene dort. Ein paar Videos gibt es aus Israel, das bekannteste wohl vom Frühjahr 2012 mit Alex Kennedy und Simone Barraco. Aber auch Nightrider, der BMX Shop aus Tel Aviv, hat im Sommer ein Zwölf-Minuten-Video rausgebracht. Wie stark ist die Szene, woher kommen die Jungs?
Die Szene in Tel Aviv ist riesig und die Locals sehr aktiv. Dann reisen immer wieder Teams aus der ganzen Welt an, um dort zu fahren und zu filmen. Das liegt einerseits an den traumhaften Streetspots, die über die ganze Stadt verteilt sind, andererseits an einem riesigen Skatepark, der einen an Südkalifornien erinnert. Dieser Park ist für alle Jungs den ganzen Tag ein Treffpunkt. Durch Scheinwerfer fahrbar gemacht bis Mitternacht, traf man immer 20-30 Kids dort. Das besagte Nightrider-Video zeigt jedoch, das sich die Tel Aviver BMXer keineswegs nur dort aufhalten, sondern auch den Rest des Landes bereisen, um andere Spots zu fahren. Worüber sich allerdings einige Jungs beschwert haben, war, dass der örtliche Bikeshop nur ein kleines Sortiment an Firmen und entsprechenden Anbauteilen hat und eine Bestellung im europäischen Ausland oder Amerika ein halbes Vermögen kostet. Dennoch hat man das Gefühl, dass die Szene mehr als gesund ist und sich die Fahrer immer freuen, wenn Leute zu Besuch kommen, um mit ihnen zusammen zu fahren, oder sich an ihren Spots zu versuchen.
Das Logo von Nightrider ist ein Davidstern im Kettenblatt. Unter diesem Label fahren nur Jugendliche mit jüdischen Wurzeln, oder?
Ich denke ja, auch wenn ich das nicht komplett einordnen kann. Religion ist nie Thema in unseren Gesprächen gewesen. Viele der Jungs haben osteuropäische Vorfahren, die vor zwei oder drei Generationen ins Land gekommen sind. Dass die Jungs jedoch großartig gläubig sind, habe ich nicht mitbekommen. Sie haben sicher einen Nationalstolz, den man natürlich in so einer Phase mitbekommt, in der ich jetzt in Israel war. Ich habe sie jedoch nie abschätzig über die arabischen oder palästinensischen Jugendlichen reden hören. Vielmehr hat man das Gefühl, sie arrangieren sich mit dem ständigen Konflikt und ihren Problemen, wie dem dreijährigen Einzug in die Armee. Eigentlich haben sie keine Lust auf Politik, sondern wollen einfach nur Rad fahren und in Ruhe gelassen werden.
Gibt es auch eine arabische BMX-Szene? Immerhin leben hunderttausende arabische und palästinensische Jugendliche in Israel. In Gaza soll es Jungs geben, die Parkour und HipHop machen. Die Musik und der Lifestyle sind doch ähnlich.
Das ist eine gute Frage. Ich kann mir schon vorstellen, dass auch arabische Jungs im Tel Aviver Park BMX und Skateboard fahren. Doch wir haben ja nicht jeden gefragt, woher er kommt. Wenn man aber bedenkt, dass BMX durch das Internet mittlerweile ein globales Phänomen ist, das Kids auf der ganzen Welt begeistert, dann wird das auch arabische und palästinensische Jungs ansprechen. Die Parallelen zu Parkour und HipHop sind definitiv vorhanden, wobei man den Unterschied beachten muss, dass man dafür im Vergleich zu BMX keinerlei „Sportgerät“ braucht und es somit für interessierte Jugendliche sehr viel einfacher ist, das zu betreiben.
Was nimmt man von so einem Trip mit?
Der Trip hat, auch wenn er nur acht Tage lang war, definitiv meinen Weltblick ein wenig verändert. Man weiß die Ruhe zu Hause zu schätzen und hat hautnah erfahren, dass es vielerorts um einiges beschissener ist. Ich habe auch einen direkteren, persönlichen Bezug zu dem ganzen Israel-Palästina-Konflikt bekommen und verfolge dementsprechend aufmerksam alle Neuigkeiten wie z. B. die Anerkennung von Palästinas UN-Beobachterstatus. Darüber hinaus habe ich noch Kontakt zu einzelnen Jungs dort, und um ehrlich zu sein, plane ich schon meinen zweiten Trip nach Israel.
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