„Um das Leben am lebenswertesten zu machen, sollte man die höchste Aufmerksamkeit auf den Moment legen. Und eben diese höchste Aufmerksamkeit braucht man beim Fahrrad fahren.“
„Um das Leben am lebenswertesten zu machen, sollte man die höchste Aufmerksamkeit auf den Moment legen. Und eben diese höchste Aufmerksamkeit braucht man beim Fahrrad fahren.“
Dieses Interview entstand 1997. Philip ist mittlerweile Vater zweier Töchter und
lebt in einer Kommune in der Eifel
Philip Jakober
Hallo und herzlich
willkommen hier im Studio bei Chief Master Jakober, ich habe zwei Freunde hier
zu Besuch: Thomas und Steifi…
Philip Jakober, warum bist Du hier?
Speziell an diesem Platz hier bin ich, um mit Euch zu sitzen und Tee zu
trinken. Hier in Köln bin ich um zu studieren und hier auf der Erde bin
ich um zu leben…
Wie lang bist Du schon auf dieser Erde?
Seit ungefähr 24 Jahren, wobei ich seit letztem Jahr immer gesagt habe,
dass ich 23 bin. Ich war also zwei Jahre lang 23. Ich habe erst vor kurzem
festgestellt, dass ich schon 24 bin und im Dezember (97) werde ich 25 also
war ich nur 3 Monate 24.
Vermisst du es, 24 gewesen zu sein?
Ja, ein wenig schon. Schliesslich ist jeder Augenblick kostbar. Ich merke,
wie die Zeit immer schneller vergeht. Jetzt habe ich zum Beispiel neben meinem
Studium nur 3 Stunden täglich zum Fahrrad fahren, während ich mir
darüber früher nie Gedanken machen musste…
Ist das ein Grund, warum Du jetzt wesentlich intensiver fährst?
Nein, das kommt bei mir eher aus einem Flow heraus. Ich fahre viel Fahrrad,
weil ich viel Lust dazu habe. Das ist weniger eine Verstandessache als eine
Gefühlssache. Ich sitze den ganzen Tag sehr gerne am Schreibtisch und bewege
mich keinen Meter und abends muss ich dann einfach Fahrrad fahren.
Ist das eine Art Flucht vor Deinem Studium?
Auf keinen Fall, denn ich befasse mich supergerne mit Jura, weil es ein faszinierendes
Gedankenkonstrukt ist. Ich stehe mittlerweile sogar gerne morgens früh
auf, setz‘ mich hin und arbeite. Fahrrad fahren ist aber auf jeden Fall ein
Ausgleich. Man bewegt sich ja auch beim Studieren nicht. Wenn ich fahre, dann
fahre ich auch immer voll ekstatisch. Ab einem gewissen Punkt bin ich mit meinem
ganzen Körper und vor allem mit meinem Kopf nur noch beim Fahrrad fahren.
Ich bekomme auch manchmal Speed-flashs, wo ich einfach immer möglichst
schnell fahren muss. Das geht manchmal fast an die körperliche Substanz,
aber ich merk‘ das gar nicht. Das ist wie Meditation, du kannst nicht sagen,
wie lange du schon fährst, du wirst eins mit deinem Fahrrad. Man muss
sich so auf den Moment konzentrieren, dass man alles um sich vergisst.
Verfolgst Du irgendein Ziel mit Deinem Fahrrad, oder fährst Du um zu fahren?
Um das Leben am lebenswertesten zu machen, sollte man die höchste Aufmerksamkeit
auf den Moment legen. Und eben diese höchste Aufmerksamkeit braucht man
beim Fahrrad fahren.
Fehlt Dir etwas,
wenn Du aus dem Fenster siehst? Du kommst ja ursprünglich aus Freiberg
am Neckar und das ist ja schon etwas naturverbundener…
Einerseits ist die Stadt schon geil… Viele Leute, es geht immer was ab. Aber
andererseits gehört der Mensch in die Natur. Ich vermisse das auch. In meiner
Umgebung hier ist alles betoniert, da§ fällt mir oft auf. Hier ist kein Stück
freie Natur. In der Stadt ist man ja völlig unabhängig von jeglichen
Naturgewalten. Man kann im Winter keine Shorts tragen, aber das war’s auch schon
fast. Eigentlich bin ich schon ein extremer Naturmensch. Ich fühle mich
als ein Teil der Natur. Es ist eigentlich schon merkwürdig, dass ich
einerseits so ein Naturfreak bin und andererseits auf Beton mit Fahrrad fahre.
Wobei Fahrrad fahren ein optimaler Weg ist, sich positiv mit Beton zu beschäftigen.
Es erstrahlen Parkplätze in wundervoller Schönheit, obwohl sie eigentlich
ein scheiss Haufen Beton sind… Was natürlich ein klasse Beispiel dafür
ist, dass man alles von vielen Seiten sehen kann. Es gibt nichts Gutes und
nichts Böses, weil alles gute und böse Seiten hat.
Welche Sportarten hast Du so in Deinem Repertoire? Ich weiss, dass du sehr vielseitig bist…
An dritter Stelle ist Wettwichsen. Das ist ziemlich geil. An zweiter Stelle
kommt Turbo Headfisting. Das mache ich supergerne mit dem Steffen, weil der
so eine geile Rosette hat. Und an erster Stelle steht… Was hast Du denn eigentlich
gefragt?
Eigentlich wollte
ich wissen, was du schon so für Sportarten betrieben hast… (Jetzt wird’s total
planlos und Phillip fängt irgendwie an von seinem Zirkusplan zu reden…)
Das ist der geheime Plan, der jetzt auch nicht mehr geheim ist. Ich werde
vielleicht mit dem cirque de soleil, ein Zirkus ohne Tiere, nur mit Bodyarts
und so ’nem Zeug, auf Tour gehen und dort Fahrrad fahren…
Schmiedest Du Dir Zukunftspläne?
Ich würde es nicht Pläne, sondern Ziele nennen. Ein Plan beschreibt
ja einen festen Weg. Stattdessen setzte ich mir ein Ziel, welches ich erreichen
will, aber den Weg bestimme ich frei im Moment. Das kommt aus dem Bauch heraus
und ich bleibe dabei extrem locker. Auf diese Weise fliesst dein Leben
dahin und nur durch deinen Willen und deine Konsequenz führst Du es in
die richtige Richtung. Durch die Lockerheit werden sich dir auch keine unüberwindlichen
Hindernisse in den Weg stellen sondern du schwimmst im Fluss einfach daran vorbei
direkt ins Meer, was in diesem Falle dein Ziel ist…
Wie kommt der
plötzliche Motivationsschub? Du fährst heute wesentlich intensiver Fahrrad,
obwohl du ja schon recht lange fährst…
Früher habe ich mir mal gesagt, ich will Bratsche spielen. Die Bratsche
war mein Leben, ich habe jeden Tag 4-5 Stunden Bratsche gespielt. Da habe ich
gemerkt, da§ ich ein extremer Mensch bin. Wenn ich etwas mache, dann sehe ich
das nicht als eine Tätigkeit, als ein abstraktes Ding, sondern es wird
ein Teil von mir. Wenn ich etwas mache, dann will ich sagen, dass ich das bin
und wenn ich das bin dann möchte ich voll und ganz dahinterstehen. Ich
habe vieles gemacht, Hackysack gespielt, jongliert usw. und alles habe ich gemacht
um irgendetwas zu erreichen und das habe ich auch erreicht. Aber weder im Jonglieren
noch im Hackysack spielen oder Trickskifahren oder Snowboarden habe ich soviel
Potential für mich gefunden, dass ich das ewig weitermachen würde.
Irgendwann waren diese Sachen einfach ausgereizt. Dann habe ich plötzlich
entdeckt, was für eine Wahnsinnsvielfalt das BMX-Rad bietet. Speziell das Flatlandfahren
ist so komplex, dass es praktisch eine eigene Welt ist. Es bietet so viele Möglichkeiten,
dass es, wenn man sich da richtig reinversetzt, unerschöpflich ist.
Da habe ich gedacht, dass das meine Sportart ist. Deswegen bin ich in Köln,
wo geile Motherfucker sind, wo der geile Dom ist. Das ist meine Mission, straight
from the heart. Ich bin nicht irgendein Mong, der ab und zu mal einen Contest
mitfährt, sondern ich fahre Fahrrad, mit Leib und Seele. Und gestern habe
ich damit aufgehört. Ich mache jetzt Makramee. Makramee ist der Hammer, du hast
solche Vielfalt! (…)
Äh… was ist das?
Makramee machen Muttis, die flechten so schwebende Dinger, wo Blumentöpfe
reinkommen. Aber da hat man ja wirklich eine riesen Vielfalt. Da kann man sich
die grössten Geweihe zusammenbauen… Man könnte seine eigenen Styles
erfinden und so!
Wie ist das mit Dir und Contests? Ist das was für Dich?
Contests finde ich superlustig. Ist auf jeden Fall was für mich, weil es
immer klasse Partys sind. Es kommen ganz viel verschiedene Leute, die alle irgendwie
den gleichen Flow haben. Alle haben die gleiche Faszination im Kopf.Wenn alle
diese Leute zusammentreffen gibt das eine ganz eigene Energie. Und Contest fahren
finde ich auch immer sehr lustig. Ich fahre gerne Contests, da kann man zwei
Minuten einfach abspacken. Vollgas geben! Es ist ja Freestyle, man muss ja keine
Kür machen. Du zeigst einfach allen, wie Du Freestyle fährst und wie
Du Freestyle klasse findest. Mir geht es einfach extrem um den Spass beim
Fahrrad fahren. Und das möchte ich allen zeigen. Ich würde auch nie sagen, ich
gehe ‚trainieren‘, sondern ich gehe Fahrrad fahren. Das ist auch im Kopf was
anderes. Trainieren geht man für eine Sportart und Fahrrad fahren ist für mich
keine Sportart. Es ist ein Livestyle. Das möchte ich auch im Contestrun
rüberbringen. Wenn die Tricks schiefgehen, ziehe ich mich halt aus oder tanze
oder mache was auch immer der Flow hergibt, was mir gerade Spass macht. Und wenn
die Tricks klappen ist’s noch besser.
Stellst Du Ansprüche an die Atmosphäre, in der Du Fahrrad fährst?
Ja, gerade weil es keine Sportart ist. Extrem sogar! Der Dom ist einfach
extrem geil. Im dunkeln vor dem Dom herscht eine Atmosphäre, die ich noch nirgends
sonst erlebt habe. Da stehen noch Römerstatuen rum und manchmal ist noch ein
Flötenspieler da, der klassische Musik spielt und dabei fährt man Fahrrad, das
ist unbeschreiblich. Man sollte da allerdings auch nicht zu engstirnig sein.
Obwohl ich schon sagen muss, das an Plätzen, wo das Karma nicht stimmt, auch
das Fahren nicht so flowt. Dann geht’s einfach nicht.
Wie lange fährst Du schon Fahrrad und wie bist Du dazu gekommen?
Zum Radfahren bin ich gekommen durch meinen Freund Olaf Becker. Fettesten
Respekt an ihn an dieser Stelle. Er fuhr einen grünen PTR und war der volle
California Surf-Style BMXer. Damals sind wir eigentlich nur ‚Mong‘ gefahren.
Wir waren überall und haben alles gemacht aber eigentlich nichts gecheckt. Damals
sind wir auch nicht Radfahren gegangen, sondern wir haben eine ‚Session‘ gemacht.
Ich habe mein erstes BMX-Rad nach dem grossen BMX-Boom bekommen, da war ich so
14. Es war ein Kuwahara…
Denn Du dann ewig gefahren bist…
Genau das war mein erster Rahmen und jetzt fahre ich meinen Zweiten. Standard.
Was hältst du denn von
Menschen, die wesentlich kleiner sind als Du?
Zwerge!
Nein, eher solche, die aus deiner doch sehr festen Beziehung hervorgehen…
Ja, ich habe eine Prinzessin am Start. Die Kathrin aus Stuttgart…
Die ist ja in letzter Zeit auffällig dick geworden, womit hat das zu tun?
Das hat mit ganz viel Liebe und korrekter Popperei zu tun! Die Kathrin ist
schwanger und im Januar werde ich Vater.
Findest Du das gut?
Supergeil finde ich das! Neues Leben entstehen zu lassen. Wenn wir in einem
Videospiel wären, wäre das der nächste Level. Da kommt plötzlich eine Person
und bringt dir grenzenlose Liebe entgegen. Für diesen kleinen Menschen bist
Du Gott. Du hast es erschaffen und es fühlt das. Es kann noch nicht denken,
es fühlt nur. Es fühlt die reinsten Gefühle.
Schüchtert dich diese Aufgabe nicht ein, oder fühlst Du dich der gewachsen?
Bruce Lee hat mal gesagt, dass du alles machen kannst, nur die Angst schränkt
dich ein. Die Angst ist dein grösster Feind. Es ist kein Problem, vielmehr eine
Aufgabe. Eine coole Aufgabe, so muss man das sehen. Ich möchte natürlich auch
einen Freak produzieren, weil ich ein Freak bin. Wir dürfen nicht aussterben!
Ich möchte all‘ meinen Idealismus diesem kleinen Geschöpf mitgeben und trotzdem
mich selber nicht auf’s Abstellgleis stellen.
Was war Deine schwulste Haarfarbe bis jetzt?
Einmal sind meine Haare hell-lila geworden. Ich sah aus, wie eine 80-jährige
Oma.
Du bist ja auch Popstar. Ist ein Soloprojekt in Planung?
Nein, ich werde nur in Fusions auftreten. Vornehmlich mit meinem Freund
Thomas D. mit dem ich das coolste Lied überhaupt gemacht habe nämlich ‚Herpes‘
von Thomas‘ neuer CD.
Hast Du eine Message?
Viele! Bunte Haare zum Beispiel: Farbe und Freude soll in das Leben aller
Menschen kommen.
Merkst Du, dass
Leute dir dadurch mit Vorurteilen begegnen? Weil du komisch aussiehst?
Ja aber das ist das Schöne. Das Vorurteil, was die Leute vielleicht
haben, sofort mit einem Satz zu revidieren. Dadurch kann man die Leute auch
sofort auf ihre Vorurteile hinweisen. Wenn alle gleich aussehen würden, gebe
es keine Punkte mit denen man sich beschäftigt, weil alles okay ist. Ich möchte
einfach zeigen, dass es viele verschiedene Arten von Lebenstilen gibt, es gibt
einfach keine Norm.
Danke Philip!
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