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Mike Vincents Kampf ums Augenlicht

Mike Vincent war ein fester Bestandteil der internationalen Contestszene und BMXer durch und durch. Doch als er vor dreieinhalb Jahren in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde, änderte sich sein Leben schlagartig. Jany Kosanetzky versucht seit einem Jahr, Mike wieder ein normales Leben zu ermöglichen. Wir haben mit ihr ein Interview geführt.

Jany Kosanetzky und Mike Vincent zu Hause in Virginia, USA

Stell dich doch mal bitte kurz vor.
Ich heiße Janine Kosanetzky, aber nennt mich einfach Jany. Ich lebe in Thüringen im zugegeben ziemlich provinziellen Gera. In meinen 32 Lebensjahren habe ich mich schon manchmal gefragt: „Oh Gott, wer will hier leben?“ Dann bin ich irgendwann in einem Anflug von Verzweiflung ausgeflogen, aber leider hat es mich aus privaten Gründen doch immer wieder hierher zurückgetrieben. Ich liebe es mit meiner Fotoausrüstung umherzureisen, um all das einzufangen, was mich oder andere bewegt. Egal ob draußen oder im Studio – meine Augen finden immer wieder außergewöhnliche und alltägliche Szenen, die ich für die Ewigkeit einfangen möchte. Zuhause verwöhne ich meine Ohren mit feinster Hotten-Totten-Musik. Die passt zu mir und meinem quirligen Leben und so bin ich auch ab und an mit meiner Knipse auf Punkrock- oder Hardcorekonzerten unterwegs.

Was fasziniert dich an BMX und fährst du selber?
Ihr kennt den Film „Die BMX-Bande“? Als der in die Kinos kam, war ich so zwölf. Den hab ich damals gesehen und merkte sofort: „He, Jany, das ist genau dein Ding!“ Doch ich hatte kein BMX-Rad und konnte mir auch definitiv keins leisten. Meine Freundin bekam eins von ihrem Dad gesponsert, ein cooles Bike in hellblau-metallic mit weißen Tuff Wheels ausgestattet. Da sah ich mit meinem Klapprad daneben ziemlich alt aus. Also baute ich wenigstens das komplett um. Ihr könnt euch vorstellen, dass das zwar kreativ war, aber auch ein bisschen bescheuert aussah. Es hat trotzdem seinen Zweck erfüllt. Als das Werk vollendet war, ging es ab in den Wald. Nun ja, an Schützer und Helm haben wir nicht gedacht. Die ersten Dirts wurden übermütig genommen und mit blauen Flecken und Steißbeinprellungen belohnt. Ich hatte keine Zeit zum Jammern und machte einfach weiter. Mit jedem weiteren waghalsigen Sprung wurde meine Begeisterung für BMX größer. War eine tolle Zeit! Wir waren jung und hatten irgendwie auch keine Angst.
Später dann, als ich meine Lehre als Sportfachverkäuferin begann, hatten wir eine Promotion-Aktion im Unternehmen und uns wurde eine Quarterpipe mit Inlinefahrern vor die Tür gestellt. Da kamen dann auch ein paar verrückte BMXer vorbei und zeigten ihr Können. Meinem damaligen Chef gefiel das nicht so. Ich aber fand’s atemberaubend und die Lust aufs BMX packte mich noch mehr. Es war nicht schwer, die wilde Bande dann auch kennenzulernen. Die waren ziemlich cool und jeder von ihnen hat mir ein Fahrradteil geschenkt. Alles zusammengeschraubt ergab es tatsächlich ein ganz akzeptables BMX-Rad. Da war es, mein neues Schmuckstück: ein GT-Rahmen in Chrom und Peregrine-Felgen. Es war schön … schön und sackschwer. Eigentlich nichts für zarte Mädchenkörper. Alleine ein Bunnyhop war schon die Hölle. Trotzdem wollte ich es wissen. Also rauf auf die Rampe und runter auf die Gusche. Funbox zu springen und ein paar Kreise in der Halfpipe drehen, das hat mir dennoch immer viel Spaß gemacht, auch wenn ich nie ein Profi war. Monika Stellwag war immer mein großes Vorbild, aber ehe ich auch richtig durchstarten konnte, waren mein Knie und das Handgelenk kaputt. Ich wünschte, ich könnte die Zeit nochmal zurückdrehen … Wir hingen gemeinsam bei Contests oder auf Jams ab und genossen die Atmosphäre. Heute sind die Leute von damals alte Hasen, die aber noch immer BMX im Blut haben. Ich selbst bin das letzte Mal vor ein paar Monaten in Amerika geradelt. Ein bissel was geht noch. Ich hoffe, ich kann bald wieder mehr fahren. Einfach aus Spaß an der Freude.

Wie lange kennst du Mike schon und wann und wo hast du ihn kennengelernt?
Mike und ich kennen uns seit 2001. Tom Haugen hat uns einander bei den X-Games vorgestellt. Wir haben dann zusammen eine Tour zu den Gravity Games nach Rhode Island gemacht. Ich habe damals einige Zeit als Au-pair in Amerika verbracht und Mike wohnte ganz in meiner Nähe. 2006 trafen wir uns zur LG Tour in München wieder, haben uns danach ab und an eine E-Mail geschrieben und uns dann doch wieder aus den Augen verloren. 2010 habe ich mich dann irgendwann dazu entschlossen, Facebook beizutreten. Da haben wir uns dann wieder gefunden und ich musste erfahren, was ihm zugestoßen ist. Mike war früher selbst Pro-Flatlander und ist bereits seit seinem zwölften Lebensjahr mit BMX infiziert. Er arbeitete in verschiedenen-BMX Shops und betrieb sogar seinen eigenen Versandshop. Außerdem war er weltweit als Judge auf BMX-Veranstaltungen unterwegs und schrieb Storys für das Ride BMX Magazin – sein Traumjob.

Mike mit einem Upsidedown Megaspin, den man auch auf seinem Supporter-Shirt sehen kann

Mike hatte einen schweren Unfall. Wann war das und was ist passiert?
Der Unfall passierte vor etwas über dreieinhalb Jahren. Mike lebte und arbeitete in Los Angeles. Seit zwei Tagen hatte er in einem Bikeshop einen neuen Job und war auf dem Weg dorthin. Er fuhr auf dem Radweg und da passierte das Unfassbare: Mike wurde von einem Auto erfasst und durch die Luft geschleudert. Er erlitt schwerste Verletzungen. Ein Tag, eine Minute oder eine Sekunde können dein Leben völlig verändern. Das Schicksal spielt mit dir Poker. Ein verdammter Augenblick und danach ist nichts mehr wie es war. Mike musste all das hinnehmen. Ihm wurde sein Leben gestohlen, seine Illusionen, seine Wünsche und Träume. Er ist gezeichnet von diesem tragischen Unfall und braucht dringend Hilfe, denn sein Leben ist dadurch komplett aus den Fugen geraten, nicht zuletzt finanziell. Doch die Hoffnung auf Unterstützung starb schnell. Der Unfallverursacher kam ohne Verpflichtungen davon, von einer viel zu niedrigen Versicherungsprämie gegenüber Mike einmal abgesehen. Da läuft doch einfach nur alles falsch im sozialen System. Wie absurd, dass andere Millionen bekommen, weil sie sich die Zunge am zu heißen Kaffee verbrannt haben. Das Leben kann fies sein und dabei noch höhnisch grinsen. Es ist einfach nicht fair.

Welche Verletzungen hat Mike davon getragen?
Mike überlebte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und innere Blutungen nur knapp, brach sich mehrere Rippen, seine Lunge war kollabiert, sein Knie und sein Sprunggelenk sind kaputt und sein Kiefer und sein Steißbein waren gebrochen. Aufgrund der Schwere der Verletzungen musste er anfangs in ein künstliches Koma versetzt werden. Es folgten mehrere Gehirn-OPs. Anschließend war er zeitweise in einem Wachkoma. Mike fehlen immer noch sehr viele Erinnerungen der letzten zehn Jahre.

Mit welchen Folgeschäden kämpft er noch heute?
Mike ist mitten aus dem Leben gerissen worden. Als wenn das alles nicht schon dramatisch genug wäre, ist er auch noch erblindet. Nach dem Unfall ist durch den hohen Schädeldruck sein Sehnerv verletzt worden und er verlor sein Augenlicht. Er kann außerdem nichts schmecken, er kann nichts riechen. Seine Welt ist dunkel, ohne Duft und ohne Genuss. Er lebt mittlerweile wieder in Virginia bei seiner Mum. Es ist emotional sehr schwer für mich darüber sprechen, denn es geht ihm wirklich nicht gut. Mike kann sich noch immer nicht damit arrangieren, blind zu sein. Wie sollte dies auch gelingen? Stell dir vor ab morgen ist es finster und in dieser Finsternis bist du allein. Es ist immer Nacht; die Sonne wird am Morgen zwar aufgehen, aber nicht für dich. Mike will sein Leben zurück. Er sagt immer wieder: „Ich habe das nicht verdient, ich bin immer ein guter Mensch gewesen. Ich war immer ehrlich, hilfsbereit und habe nie jemanden was Böses getan.“ Was soll man dazu sagen! Ich könnte schreien und weinen, weil es keine Worte gibt, die das beschreiben könnten. Er kann es immer noch nicht realisieren. Er sagt immer wieder, dass er so nicht leben will. Ich weiß, dass ihm die ganze BMX-Szene und seine Freunde fehlen. Leider sind davon nicht mehr allzu viele übrig geblieben. Es ruft kaum jemand an. Das ist echt schade, aber ich denke, da gibt es viele Unsicherheiten, welche die Leute davon abhalten, sich bei Mike zu melden. Niemand ist schuld an dem, was passiert ist, keiner muss sich verantwortlich fühlen. Doch wie soll man sich verhalten? Was soll man zu jemandem sagen, dem es so erging? Wie wäre es mit einem „Hallo“? Ein erster Schritt, der die Situation für ihn erträglicher machen würde. Es sind kleine Dinge, die sein Leben ein bisschen leichter machen können. Ein Stück Normalität in den Alltag zu bringen, kann ein kleiner Segen sein. Mike hat genug verloren, jetzt bitte nicht noch seine Freunde. Denn ich denke, gerade sie sind es, die er jetzt braucht. Natürlich ist es nicht einfach, damit umzugehen, aber bitte vergesst ihn nicht!

Wie bist du auf die Idee gekommen, eine Benefiz-T-Shirt bzw. Poster für ihn zu machen?
Da ich selber viele Monate lang krank war und mich Mike in dieser Zeit ganz toll unterstützt hat, war es für mich selbstverständlich, dass ich ihm jetzt auch helfe. Ich habe mir also überlegt, was ich tun kann. Viel Geld habe ich nicht, also musste ich etwas anderes auf die Beine stellen. Ich dachte: „Okay, ich kann ihm mit den Fähigkeiten helfen, die ich habe.“ Also habe ich ein T-Shirt-Design, das Mike immer mochte, für einen Neudruck aufgearbeitet. Als ich damit fertig war, habe ich noch das Supporter-Shirt entworfen. Unsere Freunde bei Hoffman Bikes haben uns dann den kompletten Druck und die Shirts gesponsert, wofür wir ihnen sehr dankbar sind.
Die Idee mit dem Poster spukte mir schon länger im Kopf rum, aber ich hatte keine genaue Vorstellung, davon, wie das Design aussehen könnte. Ich wusste nur, dass so viele BMXer wie möglich drauf sein sollten, aber nicht nur alle langweilig nebeneinander. Ich habe dann einfach angefangen und das Design hat sich während der Arbeit herauskristallisiert. Die Fahrersilhouette zeigt übrigens Simon Tabron. Das Foto habe ich 2006 in München auf der LG Tour geschossen.

Das "BMX Around The World"-Poster könnt ihr auf www.mikevfightforsight.bigcartel.com bestellen

War es schwierig, an all die ganzen Fotos heranzukommen?
An insgesamt 201 Bilder von 189 verschiedenen Fahrern heranzukommen, war wirklich schwieriger als gedacht. Ich habe dazu einen Aufruf bei Facebook gestartet, aber die Bilder kamen nur schleppend rein. Deshalb hat Mike viele Leute persönlich angerufen, und ich habe außerdem hunderte von E-Mails verschickt oder Leute über Facebook direkt kontaktiert. Dabei habe ich übrigens viele Leute kennengelernt, die mir sehr geholfen haben. Die Sponsorensuche war dann die nächste große Herausforderung, die wir meistern mussten. Aber auch das hat irgendwann geklappt. Nach fast sechs Monaten war es dann endlich soweit, und wir hielten die ersten T-Shirts in den Händen.

Wo kann man das T-Shirt/Poster kaufen?
Das Poster und die Shirts gibt es online auf www.mikevfightforsight.bigcartel.com. Mikes eigene Webseite ist noch in Arbeit. Wenn sie fertig ist, werden wir es über Facebook („Mike Vincent Benefit“) bekanntgeben.

Wie geht es jetzt weiter?
Oh, das ist eine Frage, auf die ich selbst gerne eine Antwort hätte. Ein halbwegs normales Leben zu führen und eine Familie zu gründen, wäre toll. Aber das ist eben nur umsetzbar, wenn Mike anfängt, aus der derzeitigen Situation das Beste zu machen Im Moment warten wir gerade auf einen Termin in Pittsburgh für den Brain Port. Das ist ein Gerät, das es Blinden möglich macht, über elektronische Impulse von der Zunge ausgehend wieder sehen zu lernen. Ich hoffe sehr, dass das klappt und Mike dadurch die Kraft findet, wieder mehr ins Leben zurückzufinden. Er ist nämlich noch sehr deprimiert und wütend, was ich gut verstehen kann. Allerdings bringt uns das auch nicht weiter und für mich ist es auch nicht immer leicht, damit umzugehen. Zumal ich immer ehrlich zu ihm bin und ihm keine falschen Hoffnungen machen möchte, sondern versuche, ihn auf den Boden der Tatsachen zu holen. Wir hoffen außerdem auf die Forschungsarbeit an der Harvard Universität, die schon sehr gute Ergebnisse in Sachen Sehnerv-Transplantation vorweisen können. Leider ist es noch lange nicht so weit, dass man diese Technik an Menschen anwenden kann. Trotzdem hat sich Mike natürlich als erstes Versuchsobjekt angemeldet.

Möchtest du noch etwas loswerden?
Ein besonderer Dank geht an Mikes Mum, Debbie. Ich möchte mich außerdem bei all jenen bedanken, die mich bei diesem Projekt unterstützt haben. Vielen Dank an Mat Hoffman, April Tippens, Paulo Martins, Bill Galleher und Colin Loughlin sowie Hoffman Bikes, Animal, Empire, United und Dig BMX Magazine, die den Druck der T-Shirts und Poster ermöglicht haben. Danke an alle, die immer noch an Mike denken und ohne große Worte helfen oder ihn mit einer Spende unterstützt haben. Vielen Dank an meinen Bruder Rick und meine Schwägerin Dani, die mir immer wieder mental Kraft gegeben haben. Ein großer Dank an freedomBMX für dieses Interview. Es haben viele Leute Hilfe angeboten und wollten bestimmte Sachen organisieren, aber leider war vieles davon nur heiße Luft und das tut wirklich weh. Es ist schwierig, Mikes und meine Enttäuschung diesbezüglich in Worte zu fassen. Bleibt einfach ehrlich und ignoriert ihn nicht, auch wenn eure Antwort ein Nein ist.
Ich weiß, dass Mikes Schicksal kein Einzelschicksal ist, aber jeder Mensch kann nun mal anders mit Schicksalsschlägen umgehen und nicht für jeden ist es eine neue Herausforderung. Auch Liebe kann nicht immer Wunder bewirken, dennoch kämpfen wir weiter … Mike, I love you!

Auch du kannst Mike Vincent mit dem Kauf seines Supporter-Shirts unterstützen

Wenn du Mike unterstützen möchtest, dann kannst du das auf www.mikevfightforsight.bigcartel.com tun.

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