Als Ian Morris Anfang der Neunziger Jahre auf der Bildfläche erschien, bestand Streetfahren noch zu großen Teilen aus Abubaca- und Ninja Drop-Variationen. Doch der kleine Mann aus Wales hatte andere Pläne. Und die endeten nicht immer glimpflich.
Denn Ian hatte sich schon früh vorgenommen, die hohe Kunst des Handrailfahrens zu perfektionieren, eine Kunst, die damals noch in den Kinderschuhen steckte. Natürlich war er nicht der erste Fahrer, der sich daran probierte, doch er war einer der wenigen, die es damit wirklich ernst meinten und es sich für eine Zeit lang zu einer Art Lebensaufgabe machte, die gefährlichsten Geländer aufzuspüren und an ihnen nie zuvor versuchte Tricks auszuprobieren. Zugegeben, das alles sah zumeist sehr sketchy aus, aber gewann dadurch vielleicht auch gerade seinen Reiz. Hier war jemand gewillt, die Grenzen dessen, was mit einem BMX-Rad möglich ist, grundlegend zu verschieben.
Einer von Ian Morris’ legendären Auftritten ereignete sich auf dem Fat Jam 1993. Nach einem gemütlichen Tag an den Trails brach man gegen Abend zu einer Radtour auf, die an einer Böschung endete, an der ein auch nach heutigen Maßstäben mächtiges Rail hinabging. Es handelte sich dabei um jene Art von Rails, bei denen man kurz anhält, hinunterblickt, einen Witz reißt und dann weiterfährt. Das Ding war wirklich steil und sehr, sehr lang! Doch Ian schien von diesem Ungetüm wenig beeindruckt zu sein. Er ließ sich von Jon Taylor kurzerhand einen Fullfacehelm geben, fuhr zwei, dreimal an und sprang dann ohne mit der Wimper zu zucken in den sicheren Tod – und überlebte!
Unzählige Videosections legen Zeugnis davon ab, dass Ian aber keineswegs ausschließlich an Handrails interessiert war. Egal ob Roofgaps, Zehn-Meter-Double oder Minirampengeländer – wenn es gefährlich war, war der Waliser dafür zu begeistern. So fand er auch schon bald mit S&M einen Sponsor, der perfekt zu ihm passte und auf deren Video BMX Inferno von 1995 sich eine Ian Morris Section findet, die seinen furchtlosen Style perfekt zusammenfasst:
Aber Ian Morris war schon immer mehr, als bloß ein adrenalinsüchtiger Gefahrensucher und mauserte sich in den folgenden Jahren zu einem gewieften Geschäftsmann. Lange Jahre hatte er eine führende Position bei dem englischen Vertrieb Seventies Distribution inne und war einer der Mitgründer von Federal. Und irgendwie fand er trotzdem immer wieder Zeit, um unglaubliche Tricks zu filmen. Wenn es einen Preis dafür geben würde, welcher Pros in seiner Karriere die meisten vollwertigen Videosections abgeliefert hat, dann wäre Ian Morris ganz oben mit dabei. Seinen letzten großen Auftritt hatte er 2002 in Forward von Etnies:
Mittlerweile hat Ian Morris die Baggy Pants an den Nagel gehängt und besitzt mit United Bike Co. nicht nur seine eigene BMX-Firma, sondern importiert mit seinem Vertrieb 4Down auch BMX-Teile nach England. Als wäre das alles noch nicht genug, arbeitet er nebenbei auch noch als Teammanager für Etnies Europa und pendelt ununterbrochen zwischen Melbourne, Los Angeles und Hastings hin und her. Und mit über vierzig Jahren ist er immer noch im Stande, das ein oder andere dicke Rail zu bezwingen, wie z.B. den berüchtigten Kinker an der Mühlheimer Brücke in Köln, den er für This is United erlegte. Kennst du nicht? Junge, hab mal Respekt!
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